Räume öffnen

Predigt von Pater Sebastian Leitner OSFS zur Ausstellungseröffnung „Kunst hinterm Vorhang – Natur“ in der Kaasgrabenkirche am Sonntag, 29. September 2024:

Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche,

wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte! So hat heute die erste Lesung geendet (Num 11,25-29).

Als wir am Donnerstag die Bilder von Frau Sabine Kofler-Michaelis gemeinsam mit Otto Schwarzendorfer aufgehängt haben, war ich total berührt davon, wie es einem einzigen Bild gelingt, einen Raum zu öffnen. So als ob die Kirche auf einmal Fenster hätte, und mir und hoffentlich auch Ihnen ermöglicht, durch das Betrachten dieser Bilder, etwas Neues zu sehen.

Eher zufällig landete nach Aussage von Frau Kofler-Michaelis das einzige ihrer Bilder mit einem Horizont, so sagte sie, unter der Kreuzigungsszene im Kreuzweg. Ich aber hörte die Botschaft. Was eine Künstlerin mit ihren Werken in mir bewirken kann, will Gott durch seinen Sohn bewirken und kann ich durch mein Leben bewirken: Horizonte schaffen, neue Räume öffnen.

Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte!

Der Herr legte seinen Geist auf uns alle und jede und jeden einzelnen von uns. Ganz offensichtlich sind wir zum Prophetentum gerufen. Keine Unheilsbotschaften, keine Angstmacherei, keine Festungserrichtungen, nein: Wir sind geladen und gerufen, Propheten und Prophetinnen des Lebens mit Gott zu sein und zu werden.

Wer 50 Jahre glücklich verheiratet ist, wird als Paar zu Propheten einer gegenseitigen Wertschätzung und Liebe, und einer göttlichen Treue. Danke dafür liebes Ehepaar Bartl.

Wem die Natur und die Erde so ein Anliegen ist, dass sie aus natürlichen Materialien Bilder malt, die uns innere Räume unserer Verantwortung für die Natur eröffnen können, dann haben wir es mit einer Prophetin eines Gottes zu tun, der uns unsere persönliche Verantwortung für die Schöpfung in Erinnerung ruft. Danke dafür, liebe Frau Kofler-Michaelis.

Wer seine oder ihre Kraft für das Gute einsetzt und in sich kultiviert, für den Respekt, für die Großzügigkeit Gottes, für das Lachen Gottes, für die Heilung Gottes, für das entängstigende Gottes, für das verzeihende Gottes, wird zur Prophetin oder Propheten jenes Gottes, der sich in der Weite der konkreten persönlichen Verantwortung und des geschwisterlichen Teilens eher sieht, als in der Enge der Ausgrenzung oder dem Egoismus der Verantwortungslosigkeit.

Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche,

es ist ganz einfach. Wer durch seine Taten oder seine Worte oder sein Beispiel Zeugnis vom liebenden Gott ablegt, wer durch seine Kunstwerke innere Räume öffnet, die uns verantwortlich mit der Welt und menschlich mit den Menschen umgehen lassen, wird zum Raumöffner für Gott.

Gestern Abend wurde ich gefragt, ob ich für das Christentum eine Zukunft sehe. Aber Hallo.

Jeder Tag ist für dich und mich Gelegenheit, Prophet oder Prophetin Gottes in meinem Umfeld zu sein. Danke, wo du, wo Sie ihre Fähigkeiten für Gott einsetzen, für die Bewahrung der Schöpfung, für ein menschliches Miteinander, für ein respektvolles Miteinander, für ein einladendes Miteinander, für ein verantwortliches Miteinander, für ein gelassenes Miteinander, für ein verzeihendes Miteinander, für ein integrierendes Miteinander, für ein wertschätzendes Miteinander, für ein identitätsstiftendes Miteinander, für ein göttliches Miteinander.

Das Bild von der Kreuzabnahme Jesu ist unter den Kreuzwegbilder das am stärksten beschädigte. Und auch wieder zufällig, nicht inhaltlich, ist das Bild von Frau Sabine Kofler-Michaelis darunter gelandet, ein Bild von etwas, was ich wie einen sich auflösenden Eisberg wahrnehme.

Wenn ich die Künstlerin richtig verstehe, soll ihre Kunst uns daran erinnern, uns einladen und mahnen, so verantwortlich mit der Natur aber auch miteinander umzugehen, dass nicht Zerfall, Katastrophe, sich auflösen von Welt und Umwelt, Spaltung vorangetrieben wird, sondern Zusammenhalt, Wertschätzung, Bewahrung der Schöpfung, Bewahrung der Menschenwürde, Großzügigkeit des Herzens, bereitwilliges Teilen von Zeit und Ressourcen, göttliche Räume schaffende Worte und Gedanken und Beiträge.

Ja, ich sehe eine Zukunft für das Christentum, weil Gott durch Christus seine bedingungslose Liebe an die Menschen kommuniziert hat, und weil Christus all jene an Bord holt, die mit ihm zusammen von diesem Gott erzählen oder malen oder still bezeugen.

Darin möchte ich Sie alle heute bestärken. Seien wir durch das, was in uns an Prophetischem angelegt ist, glaubwürdige Zeugen eines Gottes, der nicht auf Rasse, Religion, Herkunft oder Reichtum blickt, sondern allein auf die Liebe, mit der jede einzelne Person, ihr oder sein Leben gestaltet, ohne den anderen und/oder Gott zu übersehen. Danke, wo es Ihnen bereits gelingt, und schön, wenn sie sich immer wieder auf den Weg machen.

Amen.