Den Augenblick Gottes entdecken

Predigt von Pater Sebastian Leitner OSFS zur Ausstellung „Kunst hinterm Vorhang“

Erste Lesung: Ezechiel 33,7-9; Zweite Lesung: Römer 13,8-10; Evangelium: Matthäus 18,15-20

Gebet um eine Kultur der Aufmerksamkeit

Herr, es kommt weniger darauf an,
an einem Tag etwas Großes zu tun,
als an vielen kleinen Tagen
viele kleine Dinge gut zu tun.
Darum hilf mir
in der täglichen Einübung
einer Kultur der Aufmerksamkeit,
der Versöhnung und des Wohlwollens.
Lass mich einfach menschlicher werden,
um christlicher zu werden.

Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche

Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass wir dank Mag. Reinhard Prestl, einem Wiener Kamerakünstler, der auch heute anwesend ist, eine Neuauflage von Kunst hinterm Vorhang erleben dürfen.

Als wir am Donnerstag noch einmal gemeinsam seine Werke im Kirchenraum angeschaut haben, hat er mir auf seinem Handy sein neuestes Werk gezeigt. Es sah aus wie ein weißes japanisches Schriftzeichen auf einem roten Hintergrund.

Sie alle können es nachher anschauen, es ist ein stark vergrößerter Minimalausschnitt von diesem roten Tisch am Seiteneingang. Herr Prestl entdeckt in einem Kratzer auf einem Tisch die Schönheit des Details, und lädt mit seinen Werken zu solchen Augenblicken ein.

Die Arbeit des Künstlers, der übrigens ein treuer Kirchgänger und Pfarrblattausträger in seiner Gemeinde ist, inspiriert mich, meine eigene Aufmerksamkeit für das zu schärfen, was jede und jeder von uns, oft unbedacht, übersieht. Herr Prestl geht mit seiner Kamera durch seine nähere Umgebung und hält mit der Kamera Spiegelungen, Lichtbrechungen, Farbspiele, Augenblicke fest, die für ihn nicht nur einfach schön sind, sondern auch Zugänge in das Göttliche, Augenblicke der Seele.

Es sind diese göttlichen Augenblicke, die auch in den Schriftlesungen heute thematisiert werden, und die uns, als Pfarre Franz von Sales auch ans Herz gelegt sind.

Denn salesianische Spiritualität wird gelungen gelebt, wenn es uns nur gelingt, in den kleinsten Augenblicken unseres Lebens, den Gott unseres Alltags wahrzunehmen.

Ein Augenblick aus der ersten Lesung

„Du Menschensohn, ich habe dich dem Haus Israel als Wächter gegeben; wenn du ein Wort aus meinem Mund hörst, musst du sie vor mir warnen.“ – Das Wohl des andern im Blick haben.

Ein Augenblick aus der zweiten Lesung

„Niemandem bleibt etwas schuldig, außer der gegenseitigen Liebe!“ – Begegnungen Wärme schenken.

Ein Augenblick aus dem Evangelium

„Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, dann geh und weise ihn unter vier Augen zurecht!“ –

Immer wieder den ersten Schritt zum Gespräch machen.

Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche.

Wir definieren uns selbst gerne über große Errungenschaften und Leistungen, Erfolge und Meilensteine unseres Lebens.

Salesianische Spiritualität aber, die wir ja auch als Pfarrgemeinde vertiefen wollen, verweist uns auf eine Kultur der Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge des Lebens, die den großen Unterschied ausmachen: das Zugehen auf den Nächsten, das „Um Verzeihung bitten“, das unscheinbare Lächeln, das Rücksicht nehmen auf den anderen, das unscheinbare Zurechtweisen, das Vergeben im Stillen, das Wahrnehmen des Schönen im Detail, die menschliche Wärme, die wir verbreiten. Das genügt. Es sind Augenblicke Gottes.

Darum freut mich diese Ausstellung ganz besonders. Sie lädt uns ein unseren salesianischen Blick zu schärfen, für die Details und Augenblicke und Schönheiten und Kleinigkeiten des Lebens, die den Unterschied ausmachen.

Danke, wo sie sich auf den Weg machen, dem Kleinen und Unscheinbaren Bedeutung zu verleihen. Danke, wo es Ihnen in Ihrem Umfeld gelingt, eine Kultur der Aufmerksamkeit zu leben. Danke, wo es Ihnen gelingt, anderen Einblick in die Bedeutung göttlicher Augenblicke zu geben.

Ein Letztes. Ich biete den Künstlern immer wieder auch den Altarraum an, um das eine oder andere Werk zu positionieren. Mag. Prestl wollte das nicht. Vielleicht auch deshalb, weil dort schon der wichtigste Augenblick Gottes festgehalten ist. Das goldene Kreuz, der Augenblick in dem Gott stirbt, um allen das Leben auf ewig zu ermöglichen. An diesen menschlichen Gott wenden wir uns, wenn wir zu ihm beten:

Herr, es kommt weniger darauf an,
an einem Tag etwas Großes zu tun,
als an vielen kleinen Tagen
viele kleine Dinge gut zu tun.
Darum hilf mir
in der täglichen Einübung
einer Kultur der Aufmerksamkeit,
der Versöhnung und des Wohlwollens.
Lass mich einfach menschlicher werden,
um christlicher zu werden.

Amen.

Pater Sebastian Leitner OSFS, Sonntag 6. September 2020, Kirche Kaasgraben

Fotos von der Heiligen Messe und der Ausstellung finden Sie hier: