Liebe Mitchristen

Das Oblatenteam hat sich entschieden, eine Predigtreihe zu verschiedenen Orten in der Kirche anzubieten. Ich habe den Ambo gewählt, also den Ort, an dem das Wort Gottes verkündet wird.

Der Ambo (vom griech. anabainein = hinaufsteigen, im Mittelalter auch Analógion = Lesepult genannt) ist ein erhöhter Ort in orthodoxen, katholischen und lutherischen Kirchen, von dem aus gottesdienstliche Lesungen und Zwischengesänge vorgetragen werden. Während für die Priester und Diakone der Ambo der gewöhnliche Ort für Predigt ist, haben die Bischöfe die Wahl zwischen Kathedra und dem Ambo

Im katholischen Kirchenbau kam es im Zuge der Liturgiereform nach dem Zweiten Vaticanum zu einer Wiederbelebung des Ambos. Die Verwendung eines gesonderten Ortes für die Verlesung der heiligen Schriften soll die hohe Bedeutung und die Würde des Wortes Gottes für die christliche Gemeinde unterstreichen.

Liebe Mitfeiernde!

Im Markusevangelium lesen wir: „Die Menschen waren sehr betroffen von seiner Lehre; denn er lehrte wie einer, der göttliche Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten.“  Fridolin Stier, der große Tübinger Alttestamentler, vermisst dieses kraftvolle und treffende Wort in unserer heutigen Zeit. Er bedauert, dass die Kirche Jesu zu einer Kirche der Schriftgelehrten geworden ist, und er äußert seine Kritik in folgender Geschichte: 

„Das Wort Gottes kommt in die Stadt. Plötzlich war das Gerücht da, lief durch die Stadt, wollte nicht mehr verstummen. Die Kirchenblätter warnten: Niemand lasse sich täuschen! Das Wort Gottes kann gar nicht kommen, es ist gekommen. Wir besitzen es in den heiligen Büchern, und wir haben  Experten, die es für die Laien auslegen, zurechtlegen, mundgerecht machen. Aber das Wort Gottes kam doch in die Stadt und wird schließlich in die Kirche eingeladen. Die Geistlichkeit bereitete ihm einen feierlichen Empfang. Ein Thron war bereitgestellt und das Wort Gottes nahm Platz. Man brannte ihm Weihrauch. Und dann hob der Prediger an, das Wort Gottes zu preisen, und sagte, das Wort Gottes rede in einer alten Sprache und habe sich die Zunge der Prediger geliehen, um sich allen verständlich zu machen. Und so sprach er darüber, aber das Wort Gottes selbst kam nicht zu Wort. Die Leute merkten es, sie fanden die Rede des Predigers schal und fingen an, nach dem Wort zu rufen. Das Wort, schrien sie, das Wort! Aber das Wort Gottes war nicht mehr in der Kirche. Es war weitergegangen. Auf dem Thron lag ein altes Buch.“

Eine provozierende Geschichte: 

Die Menschen rufen nach dem Wort – und bekommen ein altes Buch.
Sie schreien nach dem lebendigen Wort – und wir geben ihnen tote Buchstaben.
Sie hungern nach dem befreienden und erlösenden Wort – und wir sperren es ein in Paragraphen und Lehrsätze.
Sie warten auf das ermutigende und mitreißende Wort – und wir pressen es in Gebote und Verbote.
Sie hoffen auf das tröstende und verständnisvolle Wort – und wir präsentieren ihnen Floskeln und Formeln.

„Die Menschen waren sehr betroffen von seiner Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der göttliche Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten.“

Die Geschichte von Fridolin Stier läuft auf die Frage zu: Wie müsste die Kirche heute reden, wenn sie wie Jesus die Herzen der Menschen erreichen will? Was wäre das für eine Sprache, die heute wieder neugierig macht auf das Wort Gottes, in der uns heute sein Zuspruch und Anspruch trifft?

Antworten darauf  fand ich in drei Witzen:

Zwei Prediger unterhalten sich: „Ich habe neulich über eine Stunde gepredigt“, sagt der eine. Der andere fragt erstaunt: „Da musst du doch völlig fertig gewesen sein?“

„Ich nicht, aber die Gemeinde hättest du sehen sollen …“

Ein Psychiater untersucht einen Prediger und fragt ihn unter anderem: „Reden Sie im Schlaf?“ „Nein“, antwortet der Prediger, „ich rede nur, wenn andere schlafen.“

Der Prediger spricht sehr leise. Ein Mann, der ganz hinten sitzt, brüllt: „Ich verstehe kein einziges Wort!“ Da erhebt sich einer, der in der ersten Reihe sitzt, und ruft zurück: „Ich verstehe jedes Wort, bin aber sofort bereit, mit Ihnen den Platz zu tauschen.“

Wenn der Ambo als Ort für die Predigt  die Würde des Wortes Gottes für die christliche Gemeinde unterstreichen soll, dann darf eine Verkündigung  in unseren Kirchen nicht erschöpfend und belehrend sein, sondern sollte zum Weiterdenken anregen und zum Handeln motivieren.  Dann darf Verkündigung nicht langweilig und einschläfernd sein, sondern durch abwechslungsreiche Formen erfrischen und Interesse wecken. Und es soll nicht mit unverständlichen oder verbrauchten Worten, sondern in einer prägnanten und überraschenden Sprache gepredigt werden.

Und wenn die Predigt der Frohen Botschaft die Kirchenbesucher nicht hin und zum Lächeln bringen würde – dann wäre das wirklich ein Witz!

P. Georg Dinauer, OSFS

Aus der Predigtreihe „Meine Kirche – unser Kirchenraum“