„Der Glaube kommt allein aus dem Hören der Botschaft“ (Paulus, Römer 10,17).
Nicht zuletzt die wörtliche und missverstandene Auslegung dieses Zitats des Apostels Paulus bewirkte, dass bis in das 16. Jahrhundert Gehörlose als geistig behindert angesehen und aus der christlichen Gemeinde ausgegrenzt wurden.
Das sollte sich erst durch das Wirken des Heiligen Franz von Sales (1567-1622), des Patrons unserer Pfarre, ändern. Bei einer Visitationsreise lernte er nämlich einen Gehörlosen namens Martin kennen und bemerkte, dass es möglich ist, sich mit ihm durch Gesten zu unterhalten. Er beschäftigte ihn anschließend in seinem Bistum, erteilte ihm die Erstkommunion, Firmung und nahm ihm sogar die Beichte ab. Er fand in den folgenden Jahrhunderten leider keinen Nachfolger. Erst der Italiener Filippo Smaldone (1848-1923), der Gründer des Ordens der Salesianerinnen vom Heiligsten Herzen, nahm die Idee des Heiligen Franz von Sales auf und entwickelte eine eigene Gebärdensprache, um sich mit Gehörlosen verständigen zu können. Er sowie Franz von Sales sind seitdem die Schutzpatrone der Gehörlosen.
Da sich in diesem Jahr der Geburtstag des Heiligen Franz von Sales zum 450. Mal jährt, dachten wir daher, dem am besten durch die Feier einer Messe für Gehörlose Rechnung zu tragen, was gestern verwirklicht wurde und eine Premiere für Glanzing bedeutet. Sie zelebrierte Pater Alfred Zainzinger vom Trinitarierorden, der Gehörlose schon seit 15 Jahren betreut und selbst über Kenntnisse der Gebärdensprache verfügt, unterstützt von Frau Dr. Maria Schwendenwein, die seit über 50 Jahren ehrenamtlich als Gebärdendolmetscherin für die Diözese Wien tätig ist.
Das Abhalten einer solchen Messe erfordert einige Modifikationen: Da für Gehörlose die optische Wahrnehmung ein entscheidender Faktor ist, wird die Messe grundsätzlich im Sitzen gefeiert, um die Sicht nicht zu beeinträchtigen. Zur besseren Verständlichkeit werden kompliziertere Formulierungen, auch bei den Gebeten, vermieden. Nach der Lesung wurde von den gehörlosen Messteilnehmern pantomimisch die Szene nachgespielt, in der der Heilige Franz auf den gehörlosen Martin aufmerksam geworden war.
In der Gebärdensprache werden Begriffe oder Silben durch Gesten bezeichnet, die Pantomime spielt naturgemäß eine wichtige Rolle. Zur Unterscheidung semantisch ähnlicher Begriffe wie Mensch / Volk dient die Lippenbewegung. Man benötigt mindestens ein Jahr intensiven Studiums, um sich Grundkenntnisse anzueignen, bis zur Beherrschung der Sprache fehlen dann noch Jahre. Leider ist die Gebärdensprache nicht international, es gibt sogar zahlreiche „Dialekte“; so wird der Begriff „Heilig“ in Wien mit dem angedeuteten Buchstaben „H“, in Oberösterreich mit einem angedeuteten Heiligenschein bezeichnet.
Die Seelsorge für Gehörlose blickt in der Diözese Wien bereits auf eine Tradition von 100 Jahren zurück. Betreut werden zurzeit an die 1.500 gehörlose Katholiken. In der Regel finden Gehörlosenmessen am 2. Sonntag jedes Monats um 15:00 in der Deutschordenskirche und am 4. Sonntag jedes Monats um 9:00 in der Kapuzinerkirche statt. Je viermal im Jahr wird auch jeweils in Mistelbach und Wiener Neustadt eine Messe gelesen. Jeden Samstag nach Ostern gibt es um 15:00 in der Pfarre Namen Jesu einen ökumenischen Gottesdienst für Gehörlose, Blinde sowie Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung.
Wegen des großen Zuspruches zu dieser Messe kann man davon ausgehen, dass es im kommenden Jahr ein Wiedersehen geben wird.
Hubert Nademleinsky